DAS TICKET

Der Mann war ganz normal gekleidet. So normal, dass ihn später niemand mehr beschreiben konnte. Sein Gesicht schien ebenfalls völlig unauffällig zu sein. Die Zeugen waren sich sogar uneins, ob er ein asiatisches oder europäisches Gesicht hatte. Nur die Augen blieben den meisten im Gedächtnis. Sie sollen hell und klar, dabei gleichzeitig dunkel und tief gewesen sein.

„Bitte!“ war das einziges Wort, was er je gesagt hatte. Er tat dies, als er dem Kellner Jarsin das Ticket gab. Dieser wunderte sich scheinbar nicht. Manche meinten sogar, er wirkte nahezu erleichtert, als er es bekam. Als hätte er schon lange darauf gewartet!

Weder zuvor, noch danach sind sich die Männer wohl je begegnet. Der Fremde schien mit einen Blick Jarsin zu erkennen, hatte auf den Grund seiner Seele geblickt. Vielen seiner Kollegen war er ein Rätsel, blieb ihnen stets fern. Er tat seine Arbeit. Besonders anspruchsvoll war es nicht, dass Geschirr der vielen Frühstücksgäste abzuräumen. Doch während andere sich beim Beladen der großen Tabletts halfen, nahm er sich in aller Ruhe einen Beistelltisch, stapelte was auf das Tablett passte und ging flink in die Küche. Auch ist ihm nie etwas herunter gefallen.

Aber er schaute immer traurig und müde. Seine Haltung und sein Gang waren kraftlos. Insgesamt wirkte er verloren und gleichgültig.

An seinem ersten freien Tag nachdem er von dem Unbekannten das Ticket geschenkt bekommen hatte, fand er sich gleich am Morgen an der Talstation der Seilbahn von Langkawi ein. Er stieg zusammen mit vier weiteren Personen in eine der ersten Gondeln ein, die an diesem Tage nach oben fuhren. Während die anderen Fahrgäste an der Zwischenstation die Gondel verließen, fuhr Jarsin direkt bis zur Bergstation hinauf. Dort schien er wie die Touristen die Aussicht zu genießen. Noch lag morgendlicher Dunst über dem Meer und die Konturen verschwammen am Horizont, was zu einem ganz besonderen Anblick führte. Doch der Regenwald war klar, lag wie ein grüner Teppich ihm zu Füßen.

Dann nahm er die Stufen hinab, die ihm zu der Hängebrücke führten. Es war eine Konstruktion aus Stahl und Beton, die sich hoch über einem Tal zwischen zwei Gipfeln spannte. Wenn man sie betrat, schwang sie ein klein wenig hin und her. Gehalten wurde dieser Bogen mit einem einzigen Träger, an dem Seile aus Stahl verliefen.

Jarsin schritt ohne Eile die Brücke entlang, erreichte die Mitte und sprang hinab.

Die fürchterlich zugerichtete Leiche wurde erst zwei Tage später entdeckt, da der Urwald hier besonders dicht ist. Einige Bäume sind 30 Meter hoch, Palmen mit langen Stacheln daran gibt es zudem. Anstatt seinen Fall zu bremsen, zerrissen und zerschnitten sie Jarsin.

Es wurde kein Abschiedsbrief gefunden.

Von dem seltsamen Mann fehlt jede Spur.



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