„Darf ich Sie ein Stück begleiten?“
Sie bleibt stehen, dreht sich zu ihm um.
„Wohin?“
„Weiß nicht. Wohin gehen Sie?“
„Ich gehe die Straße entlang.“
Bert geht neben ihr her. Sie duldet es, bemerkt er, nicht mehr, nicht weniger. Ab und an dreht sie sich um, als würde sie verfolgt werden.
„Wie weit?“
„Bitte?“ fragt Bert, versteht nicht.
„Wie weit würden Sie gehen? Bis wohin wollen Sie mich begleiten?“
„Das habe ich mir noch nicht überlegt?“
„Sind Sie denn überhaupt vorbereitet, haben sie alles dabei?“
Ein Auto fährt mit Schrittgeschwindigkeit hinter den beiden her.
„Wer vermisst sie?“
Sie bleibt stehen, schaut sich um. „Bitte gehen Sie!“ sagt sie.
„Bin ich Ihnen zu nahe getreten? Ja? Dann vergessen Sie meine Frage.“
„Ich möchte nur nicht, dass Ihnen was passiert!“
Der Wagen ist stehen geblieben, zwei Männer stiegen aus, große, kräftige Burschen der unsympathischen Sorte.
„Vermissen diese Leute Sie?“
„Nicht mich, nur etwas, was ich haben soll.“ Sie sieht sich um, Wohnstraße, Vorgärten. „Kennen Sie sich hier aus?“
„Ich wohne schon ein paar Jahre hier“, sagt Bert.
Die Männer kommen bedrohlich langsam näher.
„Ich wollte jetzt nicht ihre Lebensgeschichte hören, sondern eine gute Idee, wohin wir uns verflüchtigen können“, sagt sie streng.
„Dann sollten wir jetzt die Beine in die Hand nehmen“, flüstert Bert. „Folgen Sie mir!“ Schon rennen die beiden los. Die Männer hinterher. Noch haben die Unbekannte und Bert einen Vorsprung. Er weist ihr den Weg, durch einen Vorgarten, eng um ein Haus herum, über eine niedrige Hecke, über das Nachbargrundstück, Bäume stehen eng beieinander, sie hindurch, die Männer erahnen mehr den Fluchtweg, bleiben aber den Flüchtenden auf den Fersen.
„Schnell“, sagt Bert und hilft der Frau auf einen Baum, läuft dann weiter. Er meidet große Wege, schlägt Haken, knapp an Hausecken vorbei, die Männer hinterher, nicht wissend, dass sie nicht mehr der Frau folgen. Schließlich geben sie auf, können ihm nicht mehr folgen.
Bert hat bemerkt, dass er nicht mehr verfolgt wird. Er läuft nach Hause, geht in seine Wohnung, erst einmal an den Kühlschrank. Ganz außer Atem, es läuft ihm das Mineralwasser nicht nur in den Mund. Er wischt sich das Gesicht ab, schaut in den Spiegel, ganz gerötet, die Haare verschwitzt.
Ob die Frau noch auf dem Baum sitzt? fragt er sich plötzlich.
Er zieht seine Sachen aus, sucht sich frische aus dem Schrank, andere, anderer Stil. Wahrscheinlich werden sich die Männer nicht sein Gesicht gemerkt haben.
Noch einmal durchpusten, einen letzten Schluck aus der Pulle. Schon geht Bert mit neuen Mut bewaffnet zurück auf die Straße. Keine verdächtigen Männer zu sehen. Immer weiter geht er den Weg zurück, den er eben gerannt ist.
Da, der Baum.
Er kann sie nicht sehen.
„Hallo“, sagt er zaghaft.
„Hallo“, wiederholt er etwas lauter.
Er lauscht, hört auf jedes Knacken im Geäst. Ein Vogel scharrt auf dem Boden nach etwas brauchbaren. Sein eigenes Herz ist zu hören. Aber kein Mensch zu sehen.
Er geht durch die Straßen, schaut in alle dunklen Ecken. Weiter zum Bahnhof, zum Café an der Ecke, zum Supermarkt, der jetzt schon geschlossen hat. Dann wieder in die Seitenstraßen.
Nicht mal ihren Namen!
Es wird eine lange Nacht für Bert, lange Tage folgen. Zwar geht das Leben von ihm weiter, aber er begegnet der Frau nie wieder. Oft denkt er noch an sie, überlegt, was aus ihr geworden ist. Nie wird er eine Antwort darauf bekommen.
ENDE